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Die Akademie trauert um ihr Ehrenmitglied Friederike Mayröcker (1924-2021)

Die österreichische Autorin Friederike Mayröcker ist am heutigen Freitag im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben. Mayröcker zählte zu den am höchsten dekorierten heimischen Schriftsteller_innen. 2010 wurde ihr die Ehrenmitgliedschaft der Akademie der bildenden Künste Wien verliehen.

Mayröcker, die u.a. mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern (2014), dem Großen Österreichischen Staatspreis (1982) und dem Georg-Büchner-Preis (2001) ausgezeichnet wurde, hatte bereits nach dem im Sommer 2020 erschienenen Buch angekündigt, keine weiteren Werke zu veröffentlichen. Über den Tod sagte sie einst in einem „Standard”-Interview: „Ich schreibe um mein Leben. Es wird mir aber nichts nützen. Er wird mich holen, so oder so.”

Geboren wurde Mayröcker am 20. Dezember 1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin. Bereits als 15-Jährige begann sie kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der Literaturzeitschrift „Plan” veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Im selben Jahr begann sie als Englischlehrerin an Wiener Hauptschulen zu unterrichten. Nach einigen vorübergehenden Beurlaubungen konnte sie erst 1969 aus dem Schuldienst ausscheiden und sich ganz dem Schreiben widmen.

Zu ihren bekanntesten Werken zählen etwa der Gedichtband „Tod durch Musen” (1966) oder die Prosa-Stücke „Die Abschiede” (1980), „brütt oder Die seufzenden Gärten (1998), „Requiem für Ernst Jandl” (2001) oder „Und ich schüttelte einen Liebling” (2005). 2013 bis 2016 erschien die Trilogie „études”, „Cahier” und „fleurs”. Der letzte als Lyrik ausgewiesene Band erschien 2012 mit „Von den Umarmungen”, die zuletzt erschienenen Werke betitelte der Suhrkamp-Verlag, bei dem Mayröckers Werk seit 1979 erschien, selbst als „prosaische Gedichte und lyrische Prosastücke”.

Im Jahr 2010 wurde Friedericke Mayröcker die Ehrenmitgliedschaft der Akademie der bildenden Künste Wien für ihre großen Verdienste und ihre Bedeutung für die zeitgenössische Kunst und Literatur verliehen.

Nachruf auf Friederike Mayröcker von Elisabeth von Samsonow

2010 wurde Friederike Mayröcker auf meinen Vorschlag hin zum Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste Wien ernannt, gemeinsam mit Maria Lassnig, die von Sabeth Buchmann vorgeschlagen wurde. Der damalige Rektor Stephan Schmidt-Wulffen nahm die Ehrung vor, wobei die Ehrung für Mara Lassnig nicht mehr öffentlich, sondern während eines Besuches des Rektors stattfinden konnte. Friederike Mayröcker nahm die Ehrung persönlich entgegen und revanchierte sich mit einer Lesung ihrer Gedichte, die mit standing ovations seitens des Publikums endete. Ein wichtiger Punkt in der Laudatio zum Anlass ihrer Ernennung war ihr kunstförmiges Schreiben über Kunst, ein Verfahren, über Kunst zu schreiben, das sie über Jahre exerziert, verfeinert, erweitert hat, und das die schwierige Konstellation der Theorie-Praxis-Opposition oder -Konfrontation in der Kunst gezielt und vorbildhaft unterläuft. Ihre Ernennung zum Ehrenmitglied hat Friederike Mayröcker sehr ernst genommen – wahrscheinlich mehr als jedes andere Ehrenmitglied – und deshalb während der vergangenen zehn Jahre regelmäßig, fast jedes Semester, eine „Vorlesung“ gehalten – was in ihrem Fall tatsächlich das richtige Wort ist: sie las aus neuen und unveröffentlichten Texten und diskutierte im Anschluss mit den Studierenden, manchmal gab es noch Musik oder einen Kommentar dazu aus berufenem literaturwissenschaftlichem Munde. Besonders an- und aufregend für die Studierenden waren die Vorlesungen, während derer auch ihre Zeichnungen gezeigt wurden. Die Zeichnungen Mayröckers – die sie selbst als Nebenprodukte ihres Schreibens bezeichnete – zeigen auf hinreißende und bezwingende Weise, wie tief ihr Schreiben im Sehen, in der Passion für die Kunst verankert war.  Diese kürzelartigen, mit der Spracharbeit innigst verschränkten Zeichnungen heben die Text-Bild-Dichotomie aus den Angeln, indem inmitten, oder dazwischen, zwischen Bild und Text, ein Quell des poetischen Sinns entspringt. So hatte die große Dichterin ihren letzten öffentlichen Auftritt im September 2020 in einer Galerie, nämlich in der Galerie nächst St.Stephan bei Rosemarie Schwarzwälder, wo ihr, mit einer gewissen Folgerichtigkeit, eine von Hans Ulrich Obrist kuratierte Ausstellung ihrer Zeichnungen gewidmet worden war. Friederike Mayröcker hat ein Künstlerinnenleben mit der allergrößten Unbedingtheit  und Hingabe gelebt, immer dem Leben so sehr zugetan, wild und radikal in ihren Texten, deren Lektüre nicht anders sein kann als erschütternd: erschütternd in Bezug auf den Strom der Gefühle, den sie entlassen, erschütternd in Bezug auf die endlosen Variationen möglichen Ausdrucks, erschütternd in Bezug auf das Sublime der Sprache, das sie strahlend freisetzen. Wir trauern um unser Ehrenmitglied, um eine ganz große Künstlerin.

Schwarz-Weiß-Foto einer älteren Frau, die sich die Hände ins Gesicht hält
Friedericke Mayröcker, Foto © Edith Schreiber