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Doris in der Zeitenfuge

Birgit-Jürgenssen-Preisträgerin 2012: Bernadette Anzengruber

Betrachten wir den Entwurf der Bühnenansicht für Doris aus der Vogelperspektive, dann erkennen wir ein gleichseitiges Dreieck und an dessen Längsseiten jeweils eine kleine modular aufgebaute farbige Bühnenkonstruktion. Ein schlichtes und minimalistisches Setting für die 3-Kanal Videoinstallation von Bernadette Anzengruber, die dieses Jahr für den Birgit-Jürgenssen-Preis der Akademie der bildenden Künste Wien ausgewählt wurde.

Die räumliche Anordnung markiert die drei Positionen, von denen aus sie ihre Figuren auftreten lässt. Sie performen ins Leere in das jeweils gegenüberliegende spitze Eck des Dreiecks hinein, denn obwohl sie in einer losen Beziehung zueinander stehen, soll offen bleiben, auf wen sich die jeweiligen Handlungen, Reaktionen und Kommentare beziehen. Doris, Moderator und Publikum - Bernadette Anzengruber stellt diese Rollen alle selbst dar, die Performances werden später als Videos hinter die jeweiligen Bühnenelemente an die Wand projiziert. Um die dargestellten Charaktere genauer zu erläutern müssen wir weiter in das Beziehungssystem der Arbeit vordringen.

Doris
Bernadette Anzengruber, The stage of Doris #2, Collage, 2012

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Figur Doris Finseckers aus dem Film Fame - Der Weg zum Ruhm (1980), und hier besonders die Szene, in der diese begleitet von ihrer Mutter mit dem Song The way we were zur Aufnahmeprüfung an der New Yorker High School of Performing Arts antritt, eine Szene, die von Scham und Verlegenheit der jungen Frau getragen ist und trotz peinlicher Momente Sympathie für die Darstellerin zu erwecken vermag. The way we were , ursprünglich gesungen von Barbra Streisand und Titelsong für den gleichnamigen Film von Sydney Pollack (1973), ist der Knoten, der die Figuren in Doris miteinander verknüpft. Steht er im Film am Ende einer gescheiterten Liebesgeschichte, so markiert er den Beginn von Streisands außergewöhnlicher Karriere als Sängerin. In Fame nimmt er den Werdegang von Doris vorweg, denn sie wird zwar an der Schule angenommen, doch ihr Erfolg bleibt ein uneingelöstes Versprechen. Moderator und Publikum nehmen in Doris durchaus aktive Rollen ein und sie treten auf Augenhöhe mit der Figur Doris an. Entwickelt hat Bernadette Anzengruber diese Rollen entlang dreier Auftritte von Barbra Streisand, anlässlich derer The way we were performt wurde. Die Bedeutung des Songs schleust sich wie eine mehrwertige Logik durch das Geflecht des Settings, denn noch ist nichts festgeschrieben und der Ausgang einer unbekannten Zukunft bleibt offen, auch wenn er von Beginn an in die Geschichte eingeschrieben zu sein scheint.

Die Rollen des Moderators, angelehnt an Dick Cavett, der einen Auftritt von Streisand im Kennedy Center ankündigt, und die von Doris bleiben in ihren Grundzügen als Charaktere dem Ausgangsmaterial verhaftet. Die unterschiedlichen Charaktere des Publikums konstruieren sich aus den diversen Eigenschaften der Figuren bisheriger Performances der Künstlerin. Balloon Girl, Snake Woman, Backstage Diva, Invisible Person, Massive Titz und Genital Hero E inszenieren sich als Kunstfiguren, deren Außenseitertum und individuelle Extrempositionen einen klaren Bruch mit gängigen Erscheinungsbildern und den daran geknüpften Wertesystemen vollziehen. Die Charaktere ihrer Hauptdarsteller_innen schöpfen ihre bezeichnenden Merkmale aus dem Pool einer Ästhetik, wie wir sie im Zirkus, in Burlesque-, Freak- oder Varietéshows finden oder auch in den Inszenierungen von Glamrock oder Cross-Dressing. Anzengruber betritt dabei bewusst den Weg einer lustvollen Verschiebung von Identitäten und sie durchleuchtet die Möglichkeiten queere und heteronormative Grenzziehungen zu verwischen.

Invisible
Bernadette Anzengruber, Invisible Person #2, Collage, 2012

Ihre Arbeit charakterisiert sich durch vielschichtige Analysekonstruktionen und komplexe Verknüpfungen, mit denen es ihr gelingt, Beziehungen neu zu setzen und ganze Lebensgeschichten umzuschreiben oder zumindest deren Ausgang offen zu lassen. Denn wie schon in Happy Birthday, Ms Monroe gelingt es ihr in Doris den vorgeblich definitiven Ausgang in eine andere Richtung zu lenken und ihrer Protagonistin einen alternativen Spielraum zu geben. Sie verlagert die Handlung in eine Underground-Performanceszene, in die Doris versucht, Zugang zu finden und gibt der Szene den Anstrich einer Gerichtsverhandlung. In diesem Zusammenhang scheint es interessant, dass Anzengruber selbst es inzwischen vermeidet live vor Publikum aufzutreten. "Nichts scheint ihr privater" als dieser Moment der Bühnenöffentlichkeit. Und ihre bis ins Detail exakt geplanten Performances lassen kaum Raum für improvisierte Korrekturen.

Bernadette Anzengruber plant im Sommer ihren Abschluss an der Akademie und strukturelle Analogien zu ihrer eigenen Geschichte liegen auf der Hand. Auch ihr Werdegang scheint in die Erzählstruktur ihrer Arbeit Doris bereits eingeschrieben: Zugangsprüfung, Abschluss, der Weg zum Ruhm und der Blick zurück zum Knoten von dem aus der Ausgang der Geschichte. (Linda Klösel)

Snake1
Bernadette Anzengruber, Snake Woman #1, Collage, 2012