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Von der Wissenschaft zur Kunst und zurück: Untersuchungen zum Farbsystem Wilhelm Ostwalds

Datum
Uhrzeit
Organisationseinheiten
Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst
Ort, Adresse (1)
Schillerplatz 3
Ort, PLZ und/oder Ort (1)
1010 Wien
Ort, Raum (1)
Sitzungssaal

Vortrag von Prof. Dr. Christoph Herm (Hochschule für Bildende Künste Dresden, Archäometrie und Naturwissenschaftliche Forschung in der Konservierung / Restaurierung) im Rahmen der ChemArt (Gesellschaft österreichischer Chemiker, Arbeitsgruppe Erforschung und Erhaltung des kulturellen Erbes) organisiert vom Institut für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst (Akademie der bildenden Künste Wien) und vom Institut  Chemie – Science Visualization, Abt. Archäometrie (Universität für Angewandte Kunst).

Wilhelm Ostwald (1853 - 1932), einer der Pioniere der Physikalischen Chemie (Nobelpreis 1909), widmete sich nach seinem Ausscheiden aus der Universität Leipzig vor allem Studien zur Farbenlehre. Ein wesentlicher Teil des Nachlasses von Wilhelm Ostwald wird in seinem Alterssitz “Villa Energie” im heutigen „Wilhelm Ostwald Park“ in Großbothen bei Leipzig auf­bewahrt und stellt ein wichtiges materielles Zeugnis der Wissenschaftsgeschichte dar.

Ab 1914 entwickelte Ostwald ein Farbsystem, das auf der Kombination einer „Grauleiter“ mit dem „Vollfarbenkreis“ beruht und durch den “Farbkörper” oder „Doppelkegel“ veranschaulicht wird. Instrumente zur Veranschaulichung oder Anwendung der Farbenlehre sind die “Farbenfibeln” in zahlreichen Auflagen sowie “Farborgeln“ aus Pigmentpulvern. Um möglichst reine Farbtöne zu erzielen, zog Ostwald synthetische Farbstoffe den traditionellen anorganischen Pigmenten vor, um damit Papierbogen oder weißes Pigmentpulver einzu­färben. Während Ostwald selbst Angaben zur Zusammensetzung seiner Materialien gemacht hatte, wurden bisher noch keine Materialanalysen veröffentlicht. Schon Ostwald war bekannt, dass die von ihm benutzten synthetischen organische Farbstoffe nicht licht­beständig waren. Der Vortrag stellt sowohl Analysen einiger Farbmuster als auch Messun­gen der Lichtbeständigkeit vor und leitet daraus Hinweise zum weiteren Erhalt dieser histori­schen Materialien ab.

Aus der so genannten „Wissenschaftlichen Farborgel“ von 1925 wurden 24 Pigmentpulver mit dem höchsten Buntfarbenanteil untersucht. Daneben kamen zwei Auflagen der „Farben­fibeln“ zur Untersuchung. Die Muster wurden mittels Raman-Mikrospektroskopie (RS), Dünnschichtchromatographie (TLC) und portabler Röntgenfluoreszenzanalyse (XRF) analysiert.

Zur Herstellung der Pigmentpulver wurde fast durchgehend Lithopone verwendet. Die RS an den gelben bis violetten Pulvern der „Wissenschaftlichen Farborgel“ ergab, dass je Farbton ein bis zwei synthetische organische Pigmente hinzukamen, insgesamt vier verschiedene. In den blauen bis grünen  Mustern kamen zwei synthetischer Triarylmethan-Farbstoffe zur Anwendung. Daneben wurde das anorganische Pigment synthetischer Ultramarin nachge­wiesen. Zur Absicherung der spektroskopischen Ergebnisse wurden die Vergleichsproben durch TLC getrennt. Mittels XRF konnte gezeigt werden, dass die kationischen synthetischen Farbstoffe als PTMA-Lacke vorliegen.

Die Muster in der 16. Auflage der „Farbenfibel“ (Berlin 1944) bestehen aus Pigment­aufstrichen auf Papier. Die gelben bis blauen Muster haben grundsätzlich die gleiche Zusammensetzung wie die entsprechenden Pulver der „Wissenschaftlichen Farborgel“ mit einer größeren Variation bei den Gelb- und Rotpigmenten. In einem Aufstrich konnte mittels XRF Cadmiumgelb nachgewiesen werden. Die lichtempfindlichen blauen und grünen Farb­stoffe sind dagegen durch die damals neuartigen und lichtbeständigen Phthalocyanine ersetzt worden. Die Muster in der 12. Auflage der „Farbenfibel“ (Leipzig 1926) hingegen sind aus gefärbten Papieren hergestellt worden. Die Anwendung aller hier genannter analytischen Techniken auf die Papiere schlug bislang fehl.

Die Lichtechtheit von Materialien zur Farbenlehre von Wilhelm Ostwald wurde mit dem „Micro Fading Tester“ (MFT) ermittelt. Die untersuchte „Wissenschaftliche Farborgel“ weist lichtstabile Pigmente im gelben und orangen Bereich auf, während die violetten, blauen und grünen Farbtöne weniger lichtstabil sind. Die Muster in der 12. Auflage Farbenfibel sind insgesamt sehr lichtempfindlich. Die Muster der Farbfibel (16. Auflage) sind demgegenüber deutlich stabiler gegenüber Lichtalterung. Aus den Untersuchungsergebnissen muss gefolgert werden, dass die frühen Instrumente zur Farbenlehre Wilhelm Ostwalds vor Licht zu schützen sind, um die ursprünglichen Farbtöne, insbesondere im blauen und grünen Bereich, zu erhalten und damit ihren inhaltlichen und wissenschaftlichen Aussagewert zu bewahren.

CV
Hochschulstudium der Chemie 1980 bis 1987 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Würzburg; 1997 Promotion an der Universität München, Thema der Dissertation: "Anstriche auf Naturstein - Untersuchungen zur Zusammensetzung histori­scher Fassungen, Kolloidchemie von Kalkfarbe und Bauphysik" (Betreuer: Prof. Dr. H.-P. Boehm). Christoph Herm war von 1987 bis 1998 wissenschaftlicher Angestellter am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und der Universität München im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte zur Denkmalpflege und Kulturguterhaltung. 1993 bis 1996 übte er auch eine freiberufliche Tätigkeit im "Gemeinschaftslabor Konservierung und Denk­malpflege Consulting (KDC)" aus. 1998 bis 2002 war Christoph Herm Leiter des Labors am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK) in Zürich. Seit 2003 hat er die Professur für Archäometrie und Naturwissenschaftliche Forschung in der Konservierung / Restau­rierung an der Hochschule für Bildende Künste Dresden inne. Er ist Mitglied des Inter­nationalen Museumsbundes, Komitee für Konservierung (ICOM-CC) und der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), seit 2015 Vorsitzender des „Arbeitskreises Archäometrie“ in der GDCh.