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Interview zur „Weggestaltung“ der Müllner-Skulptur in der Aula

„Es können sich Mindsets ändern, wenn man Räume verändert“

Eine Gruppe von Lehrenden und Künstler_innen der Akademie der bildenden Künste Wien hat kürzlich eine deutsch-nationale Jünglings-Skulptur des Bildhauers Josef Müllner in der Aula der Akademie abgenommen. Im Gespräch erklären Eduard Freudmann, Jakob Krameritsch und Ruth Sonderegger, was es mit dieser Weggestaltung“ auf sich hat. Und wie reibungslos der Übergang vom Austrofaschismus zum Nationalsozialismus an der Akademie war.

Viele kennen den Bildhauer Josef Müllner nur durch das umstrittene Lueger-Denkmal. Dabei war er mit der Akademie der bildenden Künste von 1910 bis 1948 verbunden. Wie hat er das Haus geprägt? 

Jakob Krameritsch: Es gibt über Müllner, der Langzeitprofessor an der Akademie war, erstaunlich wenig Forschung. Als Bildhauer ist er im semiöffentlichen und öffentlichen Raum, gerade in Wien, sehr präsent, nicht nur mit dem Lueger-Denkmal, sondern auch mit seinem Siegfriedskopf“, der in der Aula der Universität stand und bis zu seiner Kontextualisierung 2006 als Treffpunkt rechtsradikaler Burschenschafter genutzt wurde, sowie mit der Siegerstatue vor dem Theseustempel. In der Akademie standen zwei Skulpturen von ihm: eine Hitler-Büste und die Bronze-Statue eines Jünglings mit dem Titel „Heldendenkmal für die gefallenen Kunstakademiker“. Ein erster Eindruck von ihm als Person ist, dass er sich mit jedem Regime – der Monarchie, dem Austrofaschismus, dem Nationalsozialismus – gut arrangieren konnte. 

Ruth Sonderegger: Um die Hitler-Büste von Müllner ranken sich diverse Geschichten und Mythen. Verbürgt ist Folgendes: 1939 wurde an der Akademie der Geburtstag von Hitler gefeiert und in diesem Zusammenhang wurde erwähnt, dass eine Hitler-Büste mit Blumenschmuck aufgestellt worden war. Diese Büste ist mittlerweile verschollen, man weiß auch nicht genau, wie lange sie in der Aula stand. Ein Archivfoto wurde 1946 so retuschiert, dass die Hitler-Büste nicht zu sehen ist – aber das Blumenarrangement daneben und das Hakenkreuz dahinter sehr wohl. Man brauchte wohl schnell ein repräsentatives Foto von der Aula. 

Was ist problematisch an dem „Heldendenkmal für die gefallenen Kunstakademiker“, das ihr in einer Kunstaktion abmontiert habt? 

Eduard Freudmann: Ein zentraler Punkt ist natürlich der Bildhauer selbst, der ab 1940 Mitglied der NSDAP gewesen ist. Schon zuvor war er Ehrenbursche der schlagenden deutsch-nationalen Verbindung Deutscher Kunst Akademiker Athenaia, die für die Akademie prägend gewesen ist. Man kann sagen, die Akademie war schon vor dem Einmarsch von Hitler in die deutsch-nationale Richtung aufgestellt. Und Müllner war eine zentrale Figur in dieser Aufstellung. Was seine Wandelbarkeit unter den Regimen betrifft, hatte er doch eindeutig eine deutsch-nationale Schlagseite. Er war ideologisch klar positioniert, davon zeugen auch seine Werke. Der Siegfriedskopf ist ein deutsch-nationales Kriegerdenkmal.

Sonderegger: Über das „Heldendenkmal für die gefallenen Kunstakademiker“ wurde an der Akademie schon länger diskutiert. Es gab immer wieder Leute, die den Jüngling verhängt haben, meist anonym. Es wurde aber auch im Senat über ihn diskutiert. Unsere Intervention ist also kein Privatanliegen von uns dreien, sondern steht im Kontext breiterer Diskussionen und Interventionen an der Akademie. Nicht nur die Person Müllner ist problematisch, sondern auch seine Ästhetik, wie sich am abgenommenen Jüngling exemplarisch zeigt, der eine klassizistische, ideale, unversehrte Körperlichkeit repräsentiert. Es gibt durchaus andere Möglichkeiten, an Kriegsgräuel zu erinnern. Aber dieser Jüngling verkörpert ein völkisches Ideal eines Heldenkörpers. Er ist also auch eine Unsichtbarmachung von realer Kriegsgewalt. Unsere Aktion ist ein Protest gegen diese Art der Ästhetik. Denn solange diese Statue in der Aula steht, kümmert sich die Akademie jeden Tag aufs Neue um den Weiterbestand dieser Ästhetik der Kriegsverherrlichung. 

Müllner galt schon zu Lebzeiten als nicht sonderlich modern. 

Freudmann: Seine Kunst ist geprägt von einem antimodernen Denken. Als der Bronze-Jüngling am 17. Juni 1925 aufgestellt wurde, gab es bereits eine ganz andere Auseinandersetzung mit den Opfern und Gräueln der Ersten Weltkrieges, die viel moderner war. Aber Müllner bleibt in der deutsch-nationalen Verklärung der Opfer, die sehr problematisch ist, nicht zuletzt, weil ja tatsächlich Leute, die an der Akademie studiert haben, im Krieg gestorben sind und sich nicht mehr gegen die Verklärung wehren konnten.

Krameritsch: Hinzukommt, es gab eine Art von ästhetischer Triage. Gutachten von Professoren entschieden, wer weiterstudieren darf – und wer in den Krieg ziehen muss. Abschlägige Gutachten legten fest, dass weniger Begabte eingezogen werden konnten. Die Akademie beteiligte sich an der Mobilmachung an diesem Krieg für „Gott, Kaiser und Vaterland“; Kriegsverbrechen, Massaker an der Zivilbevölkerung fanden statt. All das wird durch den idealen nackten Körper in Trauerhaltung wegromantisiert.  Der Jüngling in der Aula der Akademie war zudem eine Gedenkstätte des Austrofaschismus und ein Ort des Heldengedenkens an den Ersten Weltkrieg. Auch hier haben sich Burschenschafter getroffen, wenn auch nicht so lange wie beim Siegfriedskopf“ an der Universität Wien.

Freudmann: Die Weggestaltung der Büste ist mehr als das bloße Entfernen einer Figur. Unser Ziel ist es, eine Debatte darüber zu starten, was mit dem Denkmal passieren soll. Uns liegt nicht so sehr daran, endgültige Antworten darauf zu geben. Aber was uns wichtig war, ist, dass aufgrund dieser Leerstelle über viele Fragen anders diskutiert werden kann. 

Es ist also gar nicht geklärt, was mit der abgetragenen Statue und der Leerstelle passieren soll? 

Sonderegger: Die problematische Skulptur ist Teil des Hauses geworden. Für eine Weggestaltung spricht, dass man nun bessere Chancen hat, eine Diskussion in Gang zu bringen. Wir sehen auch beim Theseustempel, wie viele Menschen Fotos mit der problematischen Skulptur von Müllner machen; einfach, weil sie Teil des Stadtbildes ist. Wollen wir das? 

Freudmann: Was haben der Siegfriedskopf, die Siegerstatue und das „Heldendenkmal für die gefallenen Kunstakademiker“ gemeinsam? Sie alle setzen sich in räumliche Beziehung zu prestigeträchtigen, repräsentativen, zentralen Orten, die auch alle potenzielle Versammlungsorte sind. Ich würde sagen, das ist kein Zufall, sondern geschichtspolitisch-ästhetische Strategie. 

Sonderegger: Wir sehen uns nicht als diejenigen, die eine Entscheidung über die Zukunft des Denkmals treffen. Es soll ein inspirierender Polylog entstehen, bestenfalls wie bei der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston, die im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste in Bristol gestürzt wurde. Sie landete vorläufig im Museum, und danach gab es eine breit angelegte Debatte der Bürgerinnen und Bürger der Stadt, darüber, wer dieser Colston war und wofür sein Denkmal stand. Nach einem Jahr wurden via Aussendung alle gefragt, ob man das Denkmal wieder hinstellen soll. Eine überwiegende Mehrheit war dagegen.1 Ich denke, es können sich Mindsets ändern, wenn man Räume verändert. 

Freudmann: Unsere Aktion unterscheidet sich auch grundlegend von einer plumpen Denkmalentfernung, wie die Stadt Wien sie kürzlich beim Denkmal für Hermann Gmeiner, den SOS-Kinderdorf-Gründer, vorgenommen hat. Der Begriff Weggestaltung stammt von der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz und setzt auf Transparenz und Diskussion. Es geht also nicht darum, eine Leerstelle zu schaffen, an der nichts mehr darauf hinweist, was hier gestanden ist. Unsere Diskussion kann ja auch zu dem Ergebnis kommen, dass der Jüngling in der einen oder anderen Form wieder in der Aula aufgestellt wird. Der Ausgang ist völlig offen. 

Sonderegger: Unser Buch thematisiert und dokumentiert auch bisherige geschichtspolitische Interventionen im Kontext der Akademie. Und was den Umgang dieser Institution mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus betrifft, so ist daran zu erinnern, dass es Studierende waren, die im Rahmen einer Konferenz erstmals darauf aufmerksam gemacht haben. Sie hatten damals aber keine Unterstützung vom Rektorat. Das sagt viel über die aktive Unsichtbarmachung der Geschichte der Akademie. Wenn die Studierenden damals nicht aktiv geworden wären, wer weiß, wann die erste Auseinandersetzung stattgefunden hätte.2

Adolf Hitler wurde an der Akademie abgewiesen. Ist es eine Ironie der Geschichte, dass er sowohl von seiner restaurativen Ästhetik als auch seiner deutsch-nationalen Gesinnung eigentlich sehr gut hierher gepasst hätte? 

Krameritsch: Das Pech – wenn man so will – war, dass er offensichtlich zu wenig Menschen, „zu wenig Köpfe“, gezeichnet hat. Das stand zumindest in seiner Ablehnung. Aber ich denke, die Kunst derjenigen, die damals aufgenommen wurden, war nicht grundverscheiden von der Hitlers. Die Akademie hat sehr lange einen konservativen Stil gefördert. Es gab zwar Ausreißer, aber eine enger verstandene Moderne war wenig präsent an der Akademie; im Austrofaschismus etwa wurde Moderne als Debattenbegriff an der Akademie durchaus benutzt, aber mit reaktionären Inhalten gefüllt, wie in der Neuerscheinung zur Geschichte der Akademie ausgeführt wird.

Freudmann: Zu Müllner muss man noch ergänzen: Er stand unter den Nazis auf der Liste der Gottbegnadeten“, das waren Künstlerinnen und Künstler, die dem Regime als besonders wichtig erschienen. Müllner war einer von rund 30 „gottbegnadeten“ Bildhauern des deutschen Reichs, er war also durchaus eine prominente Figur für Hitler. 

Krameritsch: Das Entnazifizierungsverfahren hat jedenfalls positiv für ihn geendet. Was auch daran lag, dass es Allianzen gab, die nicht, wie so oft, mit einfachen Schablonen, binären Freund-Feind-Mustern zu fassen sind. Ausgerechnet der kämpferische linke Bildhauer Fritz Wotruba schrieb ein positives Gutachten über seinen Kollegen Müllner. 

Sonderegger: In unserem Buch kann man auch die massive Abwertung von Gerda Matejka-Felden nachlesen, die ab 1945 als erste Professorin an der Akademie unterrichtete. Die deutsch-nationale Gesinnung der Akademie hat eine Männlichkeitskultur gepflegt, die auch später noch Professoren zusammengeschweißt hat, die ideologisch nicht viel miteinander zu tun hatten. Es ging oft nur um den Fortbestand von männlicher Herrschaft – über politische Lager hinweg. 

Time Cole, “After the fall, where?: Relocating the Colston statue in Bristol, from 2020 to imaginary futures”, in: Journal of Historical Geography, Volume 82, October 2023, S. 156-168. Online: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S030574882300021X

2 Die damaligen Studierenden organisierten eine Konferenz, die in einem bis heute wichtigen Sammelband dokumentiert wurde:
Im Reich der Kunst: die Wiener Akademie der Bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik, hg. von Hans Seiger, Michael Lunardi, Sabine Plakolm-Forsthuber, Peter Josef Populorum, Wien : Verl. für Gesellschaftskritik, 1990. (Texte von: Elisabeth Klamper, Irene Nierhaus, Helmut Lackner, Gabriele Koller, Sabine Forsthuber, Oliver Rathkolb, Jan Tabor); das längst vergriffene Buch ist im Universitätsarchiv der Akademie einsehbar: https://archive.akbild.ac.at/detail.aspx?ID=45888

Eduard Freudmann ist bildender Künstler, der an der Akademie studiert hat. In seinen Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum geht es viel um Geschichte und Erinnerung.

Jakob Krameritsch ist Historiker und arbeitet an der Akademie der bildenden Künste Wien, mit deren Geschichte er sich seit langem auseinandersetzt. Er initiierte ein Langzeitprojekt zum europäischen Beitrag zum Massaker von Marikana.

Ruth Sonderegger ist Professorin für Philosophie und ästhetische Theorie an der Akademie. Ihre Forschungsschwerpunkte: Die koloniale Dimension der Formierung der westlichen Ästhetik im 18. Jahrhundert, sowie Theorien und Praktiken der Kritik.

Publikation: Eduard Freudmann, Jakob Krameritsch, Michael Lunardi, Ruth Sonderegger (Hg.): Ergänzungen und Eingriffe. Zur Geschichte der Akademie der bildenden Künste Wien 1930-1960. Mandelbaum Verlag. 448 S., EUR 33, www.mandelbaum.at

Herzliche Einladung zur Buchpräsentation im Rahmen von honoris causa 2025 am Do 4.12.2025 um 19 Uhr im Sitzungssaal!