Datenkolonialismus in Indonesien. Die Strategien indonesischer Künstler*innen im digitalen Kolonialismus
FWF | Elise Richter PEEK-Fellow
Stefanie Wuschitz, Institut für das künstlerische Lehramt
Projektlaufzeit: 1.11.2023 – 31.10.2027
Dieses künstlerische Forschungsprojekt stützt sich stark auf "Coded Feminisms in Indonesia" (2021), ein Vorgängerforschungsprojekt von Stefanie Wuschitz und Astrid Reza, das Fragen zu einer bestimmten Frauen*Bewegung aufwirft, die in den 1960er Jahren in Indonesien entstanden ist und zur größten feministischen Bewegung ihrer Zeit wurde. Die indonesische Frauen*Bewegung erzielte durch ihre vielfältigen aktivistischen Praktiken an der Basis, ihre antiautoritäre Pädagogik und ihre einflussreiche antiimperialistische und blockfreie Position breite internationale Wirkung. Die Bewegung wurde während des indonesischen New Order Regimes kriminalisiert, und Erinnerungen an ihre Mitglieder sind heute nur noch in verschlüsselter Form erhalten.
Mit Hilfe des Feminist New Materialism wird in diesem Projekt Datenkolonialismus in Indonesien mit den antikolonialen Kämpfen der 1960er Jahre überlagert. Der Begriff des Datenkolonialismus steht für die Aneignung von Daten, die als wichtige neue Ressource gelten. Indem sie sich innerhalb einer fragmentierten Ideengeschichte neu positionieren, schaffen junge indonesische Medienkünstler*innen Nischen für relevante digitale Gegenöffentlichkeiten. Beeinträchtigen die Strategien, die gegen frühere Formen des Kolonialismus entwickelt wurden ihre Arbeit noch? Ist das antikoloniale Erbe Indonesiens in der indonesischen Medienkunstszene wieder relevant? Sein ambivalenter Einfluss auf die aktuelle digitale Kunst wurde bisher nur unzureichend untersucht. Meine Forschung soll zu einer diffraktiven Lesart von geschlechtsspezifischen Formen der Unterdrückung, Kunst und Datenkolonialismus beitragen und die Forschungsfrage beantworten, ob Datenkolonialismus Künstler*innen in dem Maße zum Schweigen bringen kann, wie zentralisierte Gewalt Künstler*innen in Indonesien bis in die späten 1990er Jahre zum Schweigen bringen konnte. Die Feldforschung wird in Yogyakarta, Java, durchgeführt, unterstützt von der Universitas Sanata Dharma (USD) und Ruang Arsip dan Sejarah Perempuan Indonesia (RUAS), einem Raum der Frauen*archive und -geschichte. Das kunstbasierte Forschungsprojekt transformiert (d. h. sammelt und verschlagwortet) Tiefeninterviews und übersetzt analoge Archivmaterialien in animierte Geschichten, die komplexe Sachverhalte vertiefen. Die Aufbereitung der Feldforschung in Indonesien durch Animationen und Visualisierungen fördert Transparenz und hilft gleichzeitig, die Privatsphäre der Interviewpartner*innen zu schützen. Das Projekt wird mit der Veröffentlichung einer Habilitation und künstlerischen Arbeit (Film) abgeschlossen.
Kurzbiografie
Stefanie Wuschitz (1981*) ist eine Datenforschung-basierte Künstlerin in Wien. Ihre Forschung erhebt Daten, die ihren künstlerischen Prozess stark prägen. Sie untersucht die Verschränkungen von Gender, Technologie und Machtstrukturen. Innerhalb des relativ jungen, eurozentrischen Felds der Datenforschung beleuchten ihre derzeitigen Projekte ein unterbeforschtes Thema in Südostasien: Indonesiens Position innerhalb der sich rasch verändernden Technoimperien. Als Projektleiterin von Datenkolonialismus in Indonesien arbeitet sie mit indonesischen Künstler_innen, Ökofeminist_innen und Forscher_innen an der Sanata Dharma Universität. Zusammen untersuchen sie, inwieweit das Erbe der anti-kolonialen Massenbewegungen des 20.Jahrhunderts in den heutigen Widerstandspraktiken gegen Datenkolonialismus spürbar ist. Daten werden hier als kulturelles Gut verstanden, das sozio-politisch kontextualisiert, geschützt und analysiert werden muss. Neben dem Forschungsoutput fließen ihre analysierten Daten auch in ihre künstlerischen Arbeiten ein, wie interaktive Installationen, Zeichnungen und Animationen. Ihre von Degrowth inspirierte künstlerische Methodik umfasst Upcycling, die Nutzung von nachhaltig, lokal gewonnen Materialien zum Generieren ökofeministischer interaktiver Kunst. Ihre Zeichnungen und Animationen erkunden neue Arten des Geschichten-Erzählens, des Wissensaustauschs und der Dokumentation.
Stefanie Wuschitz schloss 2006 mit Auszeichnung die Klasse Transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz ab sowie 2008 ein Masterprogramm an NYUs Tisch School of the Arts in NYC. 2009 gründete sie das Hacklab und Kollektiv Mz* Baltazar's Laboratory. 2014 beendete sie ihr Doktoratsstudium mit einer Dissertation über Feminist Hackerspaces an der TU Wien. Seitdem hielt sie Post-Doc Stellen inne u.a. an der Universität für Angewandte Kunst Wien, TU Wien, Universität der Künste Berlin, TU Berlin. Sie leitete mehrere künstlerische Forschungsprojekte (mit den Titeln: Feminist Hacking, Salon of Open Secrets, Coded Feminisms in Indonesia). Ihre Kunstprojekte wurden in Einzelausstellungen, Film Festivals und internationalen Kunstveranstaltungen präsentiert. Ihr in Co-Autorinnenschaft mit Patrícia J. Reis entstandenes Buch Hardware and Eco-feminist Art. Hacking and Artistic Practices Towards Ethical Technology wird am 15.Oktober veröffentlicht. Gemeinsam mit Patrícia J. Reis wurde sie für den Ars Electronica S+T+ARTS nominiert, in Zusammenarbeit mit Klara Rabl wurde ihr der Content Award verliehen, mit ihrem Kollektiv Mz* Baltazar's Laboratory wurde sie mit dem Outstanding Artists Award ausgezeichnet, für ihr Doktorat gewann sie den Johanna Dohnal Preis. Sie erhielt ein Arbeitsstipendium der Universität für Angewandte Kunst, ein Leistungsstipendium der New York University, ein Digital Art Fellowship von HUMlab in Umeå, war Stipendiatin im Programm DiGiTal an der TU Berlin und im Elise-Richter-Program des FWF.
Als Künstlerin wurde sie von Sixpackfilm vertreten, aktuell vertritt sie die Galerie 3. Stefanie Wuschitz hatte Einzelausstellungen im Kunstraum pro arte, Galerie 3 und mit ihrem Kollektiv Mz* Baltazar's Laboratory unter anderem im VBKÖ, Kunstraum pro arte und in der Medienwerkstatt in Österreich. Das Projekt Clay PCB wurde bei AMRO, dem Ars Electronica Festival in Linz, der Chaos Communication Conference in Hamburg und wird 2026 in Indien in Khoj in New Delhi ausgestellt. Das Video bzw. die Installation Kaffeekränzchen wurde u.a. bei der Aveiro Biennale in Portugal, xCoAx in Italien und Back to Athens Festival in Griechenland präsentiert. Die Animation Coded Feminisms in Indonesia wurde in der Kunsthalle WEX, der Galerie 3 und im Kunstraum pro arte in Österreich, der Sapienza University Rome, Italien, am Africa-Asia 3 ConFest Dakar, Senegal, der Sanata Dharma University Yogyakarta, Indonesia gezeigt. Ihr Projekt Looped Scroll war auf der Electric Avenue in Österreich, der Sinop Biennale, Türkei, Bouillants in Frankreich und der ART|JOG 8 in Indonesien zu sehen. Seit 2009 lehrt sie an internationalen Universitäten und war Keynote Speakerin an mehreren internationalen Konferenzen.