Skip to main content

Revolutionäre Dissidenz: Kritische Theorie und politischer Widerstand im Sozialistischen Jugoslawien

Dissertant:
Aleksandar Novakovic

Dissertationsbetreuerin:
Ruth Sonderegger

Zweitbetreuer:
Daniel Loick

Projektstart:
18.11.2020

Doktoratsstudium:
Doktoratsstudium der Philosophie

Dissertationsprojekt
von Aleksandar Novakovic, Institut für Kunst und Kulturwissenschaften
Projektstart: 18.11.2020

Abstract

“A specter is haunting Eastern Europe, the specter of what in the West is called ‘dissent.’” Diese einleitenden Worte aus Václav Havels bahnbrechendem Essay The Power of the Powerless gelten als eines der Gründungsdokumente einer politischen Bewegung, die letztlich zum Fall des Staatssozialismus beitrug: der Dissidenz. In jüngster Zeit gibt es innerhalb der politischen Philosophie und kritischen Theorie ein erneutes Interesse daran, das Erbe des Sozialismus in Osteuropa zu untersuchen, um Ideen transformativer Politik neu zukonzipieren. Diese Debatte hat sich jedoch noch nicht mit der Arbeit von Dissident_innen auseinandergesetzt. In dieser Dissertation fokussiere ich mich auf Dissidenz im sozialistischen Jugoslawien (1942–1992), um eine situierte theoretische Darstellung von revolutionärer Praxis zu liefern, die zentrale Grundsätze der (marxistischen) Subjekttheorie hinterfragen. Die Dissidentenbewegungen in Jugoslawien praktizierten eine besondere Form der Kritik und des Widerstands. Sie lehnten dabei revolutionäre Politik nicht als solche ab, sondern wendeten sich häufig gegen ein bestimmtes staatszentriertes, patriarchalisches und koloniales Verständnis von Revolution. Eine solche revolutionäre Dissidenz bricht mit dem liberalen Verständnis von osteuropäischem Dissens, die den unterschiedlichen politischen Visionen der Opposition im Staatssozialismus nicht gerecht wird. Indem ich sowohl von liberalen und orthodoxen marxistischen Konzeptionen politischer Subjektivität abweiche, möchte ich eine bisher wenig erforschte Auseinandersetzung mit den theoretischen und politischen Traditionen von Widerstand in Osteuropa ermöglichen, die traditionelle Verständnisse von sozialer Transformation in Frage stellen. Zu diesem Zweck steht meine Forschung im Dialog mit aktuellen feministischen und dekolonialen Theorien transformativer Politik, die nicht-hierarchische und antiautoritäre Ansätze entwickeln, und so neue Begriffe und Praktiken von Revolutionen entwickeln. Da jugoslawische Dissident_innen inmitten des historischen Scheiterns revolutionärer Politik und ihrer Umkehrung in gewaltsamen Autoritarismus verortet waren, können es sich neue Konzeptionen der sozialen Transformation in der kritischen Theorie nicht länger leisten, die theoretischen Konsequenzen von Dissidenz zu übergehen.

Kurzbiographie

Aleksandar Novakovic, geboren 1991 in Wien, studierte Politikwissenschaften und Philosophie in Wien, Berlin und Frankfurt/Main. Sein Promotionsprojekt über Dissidenz im sozialistischen Jugoslawien untersucht das sozialistische Erbe Osteuropas in Dialog mit Kritischer Theorie sowie feministischen und dekolonialen Ansätzen.