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Über „Tempera“ und „Öl“: Einführung in die Rheologie und Mikrostrukturen von Malfarben

Datum
Termin Label
Vortrag
Organisationseinheiten
Konservierung - Restaurierung
Ortsbeschreibung
Kern A, 1. OG
Raum A1.3.11
Augasse 2–6
1090 Wien

Gastseminar mit Dr. Patrick Dietemann des Doerner Instituts in München.

jeweils von 9–17 h

Was ist „Tempera“, und was ist „Öl“? Und warum sind die Definitionen in verschiedenen Jahrhunderten und Sprachen so unterschiedlich? In den letzten zwei Jahrzehnten hat die moderne Kolloidchemie fundamentale Fortschritte gemacht, und es zeigt sich, dass zentrale Aspekte unserer Vorstellung, was eine Tempera gemäß heutiger Definition sei, kolloidchemischen Prinzipien fundamental widerspricht.
Auch aus Sicht der Rheologie (Lehre vom Fließverhalten der Materie) widerspricht unser Sprachgebrauch, wie Malfarben beschrieben werden, ganz grundlegenden Gesetzen der Physik.
Um die Eigenschaften von Malfarben auf der Basis der Kolloidchemie korrekt zu beschreiben, sind neue Modelle notwendig, die glücklicherweise bereits existieren und nur auf Malfarben angewandt werden müssen. Das komplexe Verhalten von Malfarben lässt sich dadurch sehr leicht beschreiben, allerdings muss man die Komplexität, die nun plötzlich konkret benennbar wird, auch akzeptieren.

Das Seminar beinhaltet eine Einführung in die Kolloidchemie und Rheologie sowie eine ausführliche Diskussion, welche physikalischen Größen und Aspekte für eine Beschreibung der Fließeigenschaften von Malfarben berücksichtigt werden müssen. Es wird gezeigt werden, dass die Eigenschaften von Malfarben aus Ei, Öl und Pigmenten nicht von deren chemischer Zusammensetzung abhängt, sondern von ihrer Mikrostruktur.
Je nach Formulierung bzw. Rezeptur (d.h. der Art und Weise, wie die verschiedenen Komponenten genau gemischt werden) entstehen unterschiedliche Mikrostrukturen, die die Fließeigenschaften einer Malfarbe um mehrere Größenordnungen verändern können, selbst wenn die chemische Zusammensetzung nahezu identisch ist.
Abschließend wird gezeigt werden, wie über Ei-Zusätze in Ölfarben die Mikrostruktur einer Malfarbe gezielt verändert werden kann, um bessere und stabilere Malfarben zu erhalten und maltechnische Probleme zu lösen. Inwiefern solche Systeme als „Tempera“ oder „Öl“ angesprochen werden sollen, bzw. was mit diesen Begriffen gemeint sein könnte, wird diskutiert, und führt zu einem Set von drei Definitionen der Begriffe, die in sich widersprüchlich, aber alle gleichzeitig wahr und gültig sind. Anhand historischer Beispiele lässt sich zeigen, dass man entsprechend Ölgemälde nur mit Temperafarben malen oder Temperafarben nur mit Ölen als Bindemittel herstellen kann.