Miriam Bajtala: Becoming Outline
Screening des Films ‚Becoming Outline’ (AT 2024, 70 min) von Miriam Bajtala, mit einer Einführung von Patricia Grzonka, Lehrbeauftragte am Institut für Kunst und Architektur. Teil der Vortragsreihe IKA Lecture Series Summer 25.
Für einen Moment erstarren Vater, Mutter und Tochter zum Tableau vivant, ein Gemälde imitierend. Aus dem Off erzählt eine Stimme eine Episode aus dem Leben der Urgroßmutter, die einst als Erntehelferin nach Frankreich ging. Miriam Bajtalas Becoming Outline ist Autoethnografie, Familienaufstellung und vielschichtig-komplexes Selbstporträt in einem. Der Film durchläuft die Stationen der Migrationsgeschichte der Familie – Frankreich, Tschechoslowakei, Österreich – und ihrer sozialen, also auch psychologischen, finanziellen und intellektuellen Emanzipation. Laiendarsteller:innen spielen Szenen aus dem Aufwachsen und dem Erwachsenenleben der Regisseurin nach: Kirschkernspucken auf ein Porträt des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei als Akt politischer Subversion; Weihnachten unterm Plastikbaum vor einer Papierkrippe aus der Kronen Zeitung; studentische Verlorenheit vor Bücherstapeln.
Auf einer sommerlichen Wiese zieht rotes Textilband die Umrisse der 18 Wohnungen nach, in denen die Regisseurin an diversen Orten von Oberösterreich bis Kanada gelebt hat. Aller Präzision der Erinnerung zum Trotz sind die konkreten Räume abstrakte Umgebungen für prägende Erlebnisse geworden – rätselhafte, schambesetzte, befreiende. Die Weite der Wiese um die Umrisse herum antizipiert den Ausbruch aus beengten Verhältnissen, setzt die Emanzipation ins Bild, bevor die Erzählung sie einholt.
Auf diese Weise löst Bajtala die am Anfang des Films zitierte in der klassischen Anthropologie vorgenommene Unterscheidung zwischen „Feld“ und „Zuhause“ auf: Die Beschäftigung der Regisseurin mit sich selbst und ihrer Familie geht über die Grenzen einer Autobiografie hinaus, um zum systematischen Blick auf jene Strukturen zu werden, die eine individuelle (Familien-)Geschichte geprägt haben. (Text: Fabian Tietke)
Miriam Bajtala (*geb. in Bratislava) lebt, schläft und arbeitet meistens in Wien. Themen ihrer künstlerischen Auseinandersetzung kreisen um Wahrnehmung, Raum, Erinnerung, (Selbst-) Ermächtigung, Zeugenschaft, Repräsentation und die Kraft der Poesie. Bajtalas Arbeiten sind in Ausstellungen und bei Filmfestivals zu sehen.
Teil der Vortragsreihe IKA Lecture Series Summer 25
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Lara Almarcegui
June 2