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Preise für wissenschaftliche Arbeiten 2024/25 an Mayra Jenzer Azevedo, Catherine Bouvier und Rehema Chachage

Den Preis der Akademie der bildenden Künste Wien für wissenschaftliche Arbeiten 2024/25 erhält Mayra Jenzer Azevedo für ihre Masterarbeit (Master in Critical Studies). Der Würdigungspreis für wissenschaftliche Arbeiten geht heuer an zwei Studierende, an Catherine Bouvier für ihre Dissertation (Institut für Konservierung Restaurierung) und Rehema Seithy Chachage für ihre Dissertation (PhD in Practice).

Wir gratulieren herzlich!

Mayra Jenzer Azevedo

Methoden der Unendlichkeit – Gothic, Camp und Vampirische Trans*gressionen (Fragments From A Vampire’s Diary)

Mayra Jenzer Azevedo, Credits: Melina Vesely

Diese Masterarbeit entwickelt die Methode des bastardized vampirism, um trans* Ontologien durch ein spezifisches Verständnis des Vampirischen zu formulieren. Diese Methode entsteht aus einer Affinität zwischen der Sensibilität der Gothic-Tradition – aus der die Figur des modernen Vampirs hervorgegangen ist – und Camp-Ästhetiken, wobei die vampirische Monstrosität neu definiert wird. Sandy Stones Konzept von „gender as genre“ wird hier wörtlich genommen: Das Vampirgenre dient als Medium, um Gegendiskurse zu trans*feindlichen, normativen und binären Narrativen zu entwerfen, insbesondere im medizinischen und bürokratischen Kontext.

Dabei wird die vampirische Monstrosität, wie sie sich im reaktionären Rahmen eines Gothic-Materialismus artikuliert, durch Juliane Rebentischs Begriff eines Camp-Materialismus erweitert – verstanden als eine zärtliche Beziehung zu Tod und Verfall, zu Scheitern und Monströsität. Dabei ist dies nicht als eine Bestätigung einer nekropolitisch determinierten Queerness zu verstehen, sondern als subversives Potenzial eines bastardized vampirisms, biopolitisch organisierte, stabile Identitäten zum Einsturz zu bringen.

Die vampirische Trans-Temporalität als Bruch mit einer cis-heterosexuellen Chrononormativität; die flüchtige, liminale Existenz des Vampirs in nächtlichen, nebligen Zwischenräumen; die stete Bedrohung durch infektiöse Verwandlung – all diese Qualitäten verdichten sich im bastardized vampirism zu einer trans*subversiven Strategie. Jenseits staatlicher Anerkennung artikuliert sich diese Strategie durch trans*gressives Begehren, monströsen Konsum und lustvolle Transformation im Zwielicht.

Begründung der Jury: 
Die Masterarbeit von Mayra Jenzer Azevedo überzeugte die Jury durch ihre herausragende wissenschaftliche Qualität und originäre Methode. Die Arbeit analysiert die Figur des Vampirs aus pluralen Blickwinkeln, insbesondere in Bezug auf Geschlecht und Sexualität sowie als erkenntnistheoretische Trope, in der sich die Angst vor dem Uneindeutigen, vor Grenzüberschreitungen und der Auflösung von Binaritäten ausdrückt. Dabei wird der Frage nachgegangen, was wir hinsichtlich des trans* Körpers und der „Monstrosität, die ihm zugeschrieben wird“, von diesem Wesen lernen können. Die Arbeit ist an der Schnittstelle von Kulturwissenschaft, künstlerischer Forschung, Queer Theory und Trans Studies angesiedelt. Jenzer Azevedo denkt den Vampir über Kunstgeschichte, Filmwissenschaft, Literatur und Popkultur hinaus und entwickelt eine widerständige Methodologie, den „bastardized vampirism“. Diese transversale Methodologie stellt sich gegen disziplinäre Grenzziehungen und die epistemische Gewalt binärer Kategorisierung. Die Masterarbeit leistet somit einen wichtigen und überzeugenden Beitrag zu aktuellen queeren, trans*, transdisziplinären und dekolonialen Diskursen. Jenzer Azevedo verbindet wissenschaftliches Schreiben mit fiktionalisierten Erfahrungsberichten, sogenannten „Tagebucheinträgen“. Dieser hybride Schreibstil, der gleichzeitig innovativ, klar gegliedert und sehr gut nachvollziehbar ist, beeindruckte die Jury.

Catherine Bouvier

Geschichte(n) der Papierrestaurierung in Österreich - von ihren Anfängen bis zur Jahrtausendwende

Catherine Bouvier, Credits: Stefan Brunthaler

Die vorliegende Arbeit beschreibt den Professionalisierungsprozess der Papierrestaurierung in Österreich aus verschiedenen Blickwinkeln: Einerseits wird der Werdegang von Werkstätten an Archiven, Bibliotheken und Museen rekonstruiert, wobei der Bogen von ersten Hinweisen auf restauratorische Tätigkeiten bis hin zur heutigen Zeit gespannt wird. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Zeitraum zwischen der Gründung der Werkstätten bis zur Jahrtausendwende. Andererseits wird beschrieben, wie und wo Wissenstransfer stattfand: Dabei kommt der Entstehung verschiedener Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten im In- und Ausland sowie der Berufsverbände eine wichtige Rolle zu. Die dadurch eingeleitete Professionalisierung führt zu einer langsamen Etablierung des Felds, wie sich z.B. an der schrittweisen Aufwertung von Dienstposten im öffentlichen Dienst ablesen lässt.

Der dritte Teil der Arbeit ist dem Einfluss gewidmet, den unterschiedliche Ereignisse auf die Entwicklungen in der Papierrestaurierung in Österreich hatten. Dabei werden die Flut von Florenz von 1966 und der Papierzerfall, der holzschliffhaltige Bestände der ÖNB bedrohte, als Beispiele herangezogen. Um neues Wissen zu generieren wurden leitfadengestützte Expert:inneninterviews durchgeführt. Die daraus gewonnenen Informationen wurden anhand anderer Quellen wie Literatur und Archivmaterial geprüft und ergänzt. Die Dissertation stellt das erste Überblickswerk über die Geschichte der Papierrestaurierung in Österreich dar. Sie soll die Grundlage für weitere Forschung sein, aber auch uns Restaurator:innen als Bezugsrahmen für die eigene Verortung im Berufsfeld dienen.

Begründung der Jury:
Die Dissertation von Catherine Bouvier widmet sich der Geschichte der Papierrestaurierung und der Professionalisierung des Faches in Österreich. Sie erweitert in ihrer hervorragenden Arbeit historische Grundlagenforschung durch sozialwissenschaftliche Methoden; Archivrecherche mit biographisch orientierten Expert_inneninterviews. Über die detaillierte Analyse der praktischen Fallbeispiele und die Befragung der zahlreichen Protagonist_innen mit den unterschiedlichen Expertisen vermag Catherine Bouvier ein vielschichtiges Narrativ von geschriebenem und ungeschriebenem Wissen für den Bereich der Papierrestaurierung und Restauriergeschichte aufzuzeichnen. Die Dissertation leistet eine umfassende Darstellung der Fachgenese als auch der Institutionsgeschichte und eröffnet neue Perspektiven für die Forschung in der Konservierung-Restaurierung. Bouvier überzeugte die Jury sowohl durch ihren interdisziplinären methodischen Ansatz, der Zeitzeug_innenforschung wie auch die Reflexion der eigenen Position einbezieht wie auch durch den Reichtum an Detail, den die Arbeit aufweist. 

Rehema Seithy Chachage

Yee Kididi Kiziha. A transgenerational encounter with themes of togetherness, community-building, and continuity 

Rehema Seithy Chachage, Credits: Nicholaus Calvin

„Yee Kididi Kiziha” ist eine aus einem christlichen Gesangbuch abgeleitete Phrase auf Chasu, die im Haushalt meiner Großmutter prominent verwendet wird, wenn die Familie zusammenkommt. Im Englischen bedeutet der Satz frei übersetzt „Es ist in der Tat erfreulich” (Menschen/ Familie zusammenkommen zu sehen). Familie und Zusammengehörigkeit stehen im Mittelpunkt dieser Dissertation, die diese Themen anhand der Back- und Webpraktiken meiner Großmutter, Bibi Mkunde, erforscht. Dabei liegt der Fokus auf vier theoretischen Hauptbereichen. Die Dissertation befasst sich mit alternativen und nicht-kanonisierten Wissensformen, wobei der Schwerpunkt auf gemeinschaftsbezogenem und gemeinschaftlich generiertem Wissen liegt. Weiters wird herausgearbeitet, wie Zusammengehörigkeit und Gemeinschaftsbildung als Mittel des Überlebens fungieren. Ebenso werden Formen der Subversion und der Verweigerung untersucht, die aus dem Alltäglichen entstehen, sowie die Idee der Kontinuität durch Zitieren, Benennen und Umbenennen erforscht. Es wird argumentiert, dass das Zitieren als Praxis ein Mittel der Reparatur, der Wiedererinnerung und, noch wichtiger, des Widerstands gegen die Auslöschung darstellt. 

Indem sie sich auf die alltäglichen Praktiken des Webens und Backens konzentriert, zeigt diese Dissertation, wie gewöhnliche Handlungen zu kraftvollen Formen des Widerstands und des Überlebens werden können, die uns dabei helfen und unterstützen, mit den anhaltenden Schatten der Kolonialgeschichte und der persönlichen Trauer fertig zu werden. Sie erforscht die komplexen Überschneidungen von dekolonialer Praxis, gemeinschaftlichem Zusammensein und der Rückgewinnung von Erzählungen, die Schmerz und Leid transzendieren. Durch einen performativen Schreibprozess sucht die Dissertation nach alternativen Wegen zur Heilung und betont dabei die Bedeutung der Kontinuität von Stimmen und Abstammungen. Letztendlich ist dieses Projekt eine Ode an das bleibende Vermächtnis der Frauen in meiner matrilinearen Erbfolge, deren Leben und Praktiken mein Verständnis der Welt zutiefst geprägt haben. Die Dissertation dient dabei als Plattform, um matriarchales Wissen zu ehren, indem sie eine offene Einladung ausspricht und vielfältige Möglichkeiten bietet, sich innerhalb von Kollektivität und Vielfalt zu bewegen.

Begründung der Jury:
Rehema Chachage’s work is a powerful performative archive in which rigorous oral traditions and research-based methods intertwine. Through this practice, they trace material, genealogical and spiritual connections and explores how the body and the land endure, remember and resist erasure. Their work focus on intergenerational memory, the survival of ancestral knowledge, and the role of women’s labor and voice in sustaining community history.
Furthermore, the work claims a type of co-authorship that honours those who have passed her on the knowledge and ancestral practices, in this way the artist is distancing themself from the classical position of the researcher and the subject to be researched, but rather persues a collaborative knowledge production. 
The title “Yee Kididi Kiziha” comes from Chasu, the language of the Vaasu, an ethnic group indigenous to the northern highlands of Tanzania, particularly the Kilimanjaro region. Loosely translated, it means something like: “It is truly joyful (to see people or families come together).”