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Residency in Kairo: Gedanken zu einer unbekannten Stadt

Benedikt Werth verbrachte als Artist-in-Residence zwei Monate in Kairo, Ägypten. In Zusammenarbeit mit Österreichischen Kulturforum Kairo (ACF), Akademie der bildenden Künste Wien und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKOES) wurde die Residency in Kairo für Absolvent_innen der Akademie ausgeschrieben.

Werth studierte von 2018 bis 2023 Kunst und Film bei Thomas Heise und Tizza Covi an der Akademie der bildenden Künste Wien. Seine Eindrücke aus Kairo im März und April diesen Jahres schildert er im folgenden Text:

Nach meiner Ankunft in Kairo war ich vorerst für einige Tage gelähmt. Die stete Überreizung von vielen Dingen: die wahnsinnige Spannweite der akustischen Dynamik, die teilweise die Nebenhöhlen unbegehbar machende verschmutzte Luft, die nie enden wollende gebaute Stadt, sowohl in die Höhe, wie auch in die Breite, stellenweise wie ein Mosaik verschiedenster Ideen von Gebäuden, direkt vis-à-vis oder nebeneinander.

Und über allem liegt eine aus historischem Staubzucker, stellenweise samtweiche Schicht. Im ersten Moment lesen sich diese Einwirkungen als negative Wahrnehmungen. Bis aber auf die Akustik (und da geht's vornehmlich um die doch immer wieder überraschenden Ausschläge und den Grundstamm an Dauerbeschallung) und die Luft – die, wenn sie sich bewegt jedoch eine verhältnismäßig mehr als erfrischende Wirkung in ihrer verzweifelten Verstaubtheit aufbringen kann. Man kriegt das Gefühl, der Wind fegt wortwörtlich über die Straßen und wirbelt den Staubzucker auf, der sich in neuer Anordnung wieder niederlegt. Ganz gleich wie der Wind tun es die Straßenkehrer, deren Arbeit im Aufwirbeln von Staub besteht und darin, hin und wieder ein kleines Häufchen Verpackungsmüll in ihre Tonne zu kippen. Zwischendurch viele Pausen.

Und auch später gab es immer wieder Momente, in denen ich von dieser Überreizung eingeholt wurde, ihr nun aber mit einer gewissen Haltung entgegnen kann. Es bedarf ein bisschen Training ein Selbstbewusstsein in und für eine Stadt zu entwickeln. Das Flanieren praktizieren hier nur Tourist_innen, zu Fuß gehen Leute mit nicht viel Geld, die anderen Fahren Bus, Metro, Taxi oder Auto. Das Fahrrad zu privaten Zwecken sieht man kaum. Dabei ist das Flanieren oder Spazieren zum Beispiel in der Ethnografie ein unentbehrliches Werkzeug zum inneren Kartografieren einer Stadt. Das eigentlich langsame (wenn auch manchmal durch Autos, Mopeds oder Pferde getriebene) Durchqueren von Lebensräumen, die sich von Straßenzug zu Straßenzug die Hände reichen oder einfach Schulter an Schulter sitzen. Man begegnet Menschen sitzend, arbeitend, spielend, betend, lachend, redend, verkaufend, einkaufend, handelnd. Man begegnet Tieren, stumm verendet, tot oder lebendig zum Verkauf, eingesperrt, vorgespannt oder freilebend. Die Hunde als oft schlafende Wächter_innen der Straße. Die Katzen schleichen durch's Viertel. Die Tauben wachen von Oben. Die unzähligen Taubenverschläge, gerne schmuckhaft aufbereitet. Im Schwarm – aufgepeitscht – kreisen die Federfreund_innen über die Dächer. Ob ihnen bewusst ist, Teil eines von Menschen sehr ernsthaft durchgeführten Sports zu sein, bleibt offen.

"Korn & Staub" könnte ein mögliches Thema sein. Der Staub, der in der Luft, auf den Bäumen, auf den Dingen liegt, der Staub, der sich auf das analoge Bild legt. Das Korn als unvermeidbares, aber spielbares Schleier-Layer auf jedem einzelnen Frame. Gibt dem Bild Struktur, eine Stabilität unter der Schutzschicht. Wie der Sandstaub in der Wüste, der Momos Hände feuerfest gemacht hat.

Das eigene künstlerische Arbeiten war vorerst durch Verunsicherung geprägt, da das öffentliche Filmen und Arbeiten mit der Kamera nur sehr eingeschränkt möglich ist, oft als unmöglich beschrieben wurde. Es ging also eher darum, Strategien und Methodiken zu überlegen, diese Einschränkung zu umgehen; der Verunsicherung entgegen zu wirken, um sich Beobachtungen zu widmen und für einen selbst Neuartiges zu entdecken. Ich habe zwar keine konkreten Projektvorhaben vorbereiten oder entwickeln können, gemachte Beobachtungen tiefer zu erforschen und zu kontextualisieren, doch habe ich verschiedene Phänomene schriftlich wie filmisch dokumentiert und kann aus dieser Materialsammlung heraus nun weiterarbeiten und hoffentlich zukünftige Aufenthalte mit konkreten Arbeitsvorhaben entwerfen.

Woher kommt die Angst vor Film seitens der Regierung? Ein Video setzt immerhin einen zeitlichen Kontext und lässt eventuell Kausalketten von Handlungen erkennen, kann jedoch auch ins Gegenteil gehen: Es kann das Fehlen von Logik in Handlungen aufweisen. Am Ende ist es aber wahrscheinlich lediglich ein reiner Akt der Sicherheit, gegen jegliche Form der Spionage; gegen jegliche Form eines schlechten Images. Die Angst vor Kontrollverlust.

New Capital

Der Blick aus dem Auto auf endlos aneinander gereihte, aufeinander gestapelte, ineinander geschobene gigantische Werbetafeln entlang der Autobahn. Dazwischen durch die Tafeln hell erleuchtete Wohnungen. Jene, die dort wohnen blicken auf Handys, Kekse oder verheißungsvolle futuristische Nachbarschaftskonzepte: Jirian, Palm Hills, Mountain View.
Aneinandergereihte Plastikvillen kreiseln und winden sich um sich selbst, betrachtet man sie auf den Satellitenfotos. Kein Ein-, kein Ausgang. Diese Nachbarschaften sind für niemanden, der_die sich bewegen mag, sie sind das Ende der Straße; Sackgassen stadtplanerischer Visionen.

Dann Wüste.
Schließlich aus dem Sand gehobene Tore.

Die Dimensionen der neuen Hauptstadt habe ich mir in meinem kleinen Kopf komplett falsch zusammengestellt. Es ist zwar größtenteils immer noch einfach Wüste oder Baustelle, aber, dass es sich – wie von mir naiv angenommen – um eine Art Bezirksareal handele ist eine mehr als falsche Annahme. Die Regierungsgebäude stehen, der Palast schaut auch fertig aus. Was fehlt, ist der Riesenphallus, den es bisher nur auf einer Visionsskizze gibt. Umrahmend stehen schon einzeln fertige Wohnareale, die an Künstlichkeit und Gleichförmigkeit kaum zu übertreffen sind. Die wie im Militär uniformiert bis zur Unkenntlichkeit des Individuums. Es ist einer der absolut unnatürlichsten Orte der Welt. Komplett unwohl fühlt man sich aber irgendwie auch nicht, denn hat das neue, glänzende auch eine Anziehung. Dass es aber eine komplett unnötige Veranstaltung ist, ist offensichtlich. Das ganze Geld, was hier in den Wüstensand gestampft wird, anstatt sich um bestehende Bausubstanz und soziale Scheren zu kümmern, ist verpuffte Zukunft. Diese Traurigkeit, dass es ausschließlich um Repräsentation und Ruhe für die Reichen vor der Realität geht, macht es zu einem sehr einsamen Fleck. Zumindest momentan, weil es keine dort lebende Person gibt. Nur Arbeitende. In etwa 5-10 Jahren wäre spannend anzusehen, ob die Versprechungen annähernd wahr geworden sind und genug Menschen gefunden wurden, sich freiwillig dort anzusiedeln. Um dann festzustellen, was das tägliche Leben dort wiederum mit der Struktur und Bebauung des Ortes anstellt. Wo bisher noch keine Mülltüte auf der Straße zu sehen ist, kann es in ein paar Jahren aussehen wie in den nobleren Vierteln von Kairo. Was Planstädte und deren Initiatoren dann doch gern ausblenden ist die Realität.