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Gerburg Treusch-Dieter (1939-2006)

Kondolenzbuch

Am Sonntag den 19. November ist Gerburg Treusch-Dieter in Berlin gestorben. Gerburg war eine glänzende Figur unter den uns gewissermaßen vorauskämpfenden Feministinnen, eine brillante Theoretikerin, eine geistreiche Kontrahentin, eine gewaltige Erscheinung mit ihrer blonden Mähne, den wallenden bunten Röcken und der donnernden Stimme, mit der sie ihre Thesen einem Publikum vortrug, welches meistens sofort in glühende Verehrer und unterkühlte Feinde auseinander fiel. Unter denen, die ihr zuhörten und ihre Analysen schätzten, waren viele junge Frauen, die an ihr das Maß für beherztes und unbestechliches Denken nahmen. Sie liebte die Universität nicht so sehr wie ihre Studenten, denen sie bis zuletzt eine begeisternde Lehrerin war. Die Besonderheit ihres theoretischen Ansatzes lag darin, dass sie in ihren Studien und Vorträgen die Antike, die Frühe Neuzeit und die Postmoderne in einem an Foucault geschulten analytischen Stil zu verbinden wusste, was ihren Thesen etwas buchstäblich Profundes - eine selten werdende Qualität - gab. Ihrer feministischen Position haftete das Tragische der wirklich tiefen Einsicht an, einer Einsicht, die sie in ihren Studien zur Totenbraut dargestellt hat. Ihre intensive Beschäftigung mit dem weiblichen Opfer schien ihr die ambivalente Rolle aufgetragen zu haben, zugleich als Opfer und als seine Rächerin aufzutreten, was sie mit einem unglaublichen Mut, aber auch mit der Ungeduld der restlosen Desillusion erfüllte. Im Juni dieses Jahres hatten wir in Schiltern Gelegenheit, aus ihrem Mund zu vernehmen, wie Hekate persönlich mit uns grünen Romantikerinnen kurzen Prozeß macht. Sie hat einmal gesagt, sie sei leider für das Theater - welches ihre erste Profession gewesen war - zu intelligent gewesen. Wir möchten sagen, glücklicherweise. Ihre Institutionskritik war harsch und bitter, wohl mit gewissem Recht, wenn man sich vor Augen führt, dass Gerburg Treusch-Dieter zwar mit einer Reihe von Gastprofessuren, Dozenturen und Lehraufträgen betraut worden ist, aber niemals eine ihrem Format entsprechende Professur zu bekleiden kam. Sie hat viele Veranstaltungen mit ihrer großen Gabe zuzuhören, zusammenzufassen und nachzufragen bereichert und auf diese Weise kühl und routiniert ablaufenden Symposien Glanzlichter aufgesetzt. Sie verfügte über einen scheinbar nie endend wollenden, teilweise recht schwarzen Humor, mit dem sie auch auf eigene Kosten Witze machte. Dieser Humor war eines der schönsten Zeichen ihrer großen geistigen Beweglichkeit. Er schützte, trotz seiner bisweiligen Schwärze oder gerade damit, einen sehr fragilen, empfindenden, mädchenhaften Kern.

Wir sind glücklich und dankbar, dass Gerburg unsere Kollegin und Freundin war.

Elisabeth Samsonow

Sabeth Buchmann, Vorständin des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften, 23. November 2006

Traurig über Gerburg Treusch-Dieters Tod möchte/n auch ich/wir Dankbarkeit für das zum Ausdruck bringen, was sie für unser Institut geleistet hat. Ihre Seminare und Veranstaltungen waren in jeder Hinsicht eine große Bereicherung sowohl für die Studierenden als auch für die Lehrenden. Ihr profundes Wissen und analytisches Vermögen, ihre Energie und Hartnäckigkeit wie auch ihre Sensibilität, Freundlichkeit und Großzügigkeit und nicht zuletzt - wie Elisabeth Samsonow in ihrem Nachruf betont: ihr intelligenter Wortwitz - sind geradezu legendär. In ihrer Rolle als öffentliche Intellektuelle hat Gerburg seit vielen Jahren die kultur- und geschlechterpolitischen Debatten über die Universität und Akademie hinaus maßgeblich mitgeprägt. Auch wenn ihre Publikationen dafür sorgen werden, dass ihre Arbeit lebendiger Teil unserer Diskussion (nicht nur) hier am Institut bleiben wird, kann dies nicht über meinen/ unseren Kummer über den Verlust dieser von mir/ uns hochgeschätzten Kollegin, Bekannten und Freundin hinweghelfen.

Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt ihrer Familie und engsten FreundInnen.

Martin Köberl, 23. November 2006

Begleitend zu meiner beruflichen Tätigkeit im sozialpädagogischen Bereich habe ich 1992
mein Studium in Pädagogik/Sonder- und Heilpädagogik aufgenommen. Zwei Jahre später wollte ich dieses wieder beenden, da ich gegenwärtige Fragen zu wenig angesprochen empfand.
Da stieß ich im Vorlesungsverzeichnis auf ein Seminar im Institut für Soziologie der Universität Wien, das sich mit Foucault beschäftigen sollte.
Im überfüllten Seminarraum ist dann fast eine halbe Stunde nach angekündigtem Termin Gerburg Treusch-Dieter, von der ich vorher nie gehört hatte "auf die Bühne getreten". Hat sich kokett dafür entschuldigt, dass sie auf der Autobahn von Berlin nach Wien "im Stau gesteckt ist" und das sie unbedingt noch "eine rauchen muß".
Die anfängliche Irritation ist im Laufe des Seminars einer Faszination gewichen, die bis zuletzt niemals abgebrochen ist.

Kein Theoretiker, keine Theoretikerin hat mich seither mehr zum Denken verführt, was manchmal auch großen Spaß machen kann.

Daniela Hammer-Tugendhat, 24. November 2006

Das Tröstende ist, dass die Kraft, die Gerburg in die Welt gesetzt hat, weiterwirkt.

Svjetlan, 27. November 2006

Ich habe Gerburg in den 1990er Jahren durch Dietmar Kamper kennengelernt und ihre unkonventionelle und spontane Art war mir von Anfang an sehr sympathisch. Auf Grund meiner englischen Jahre haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren, wir sahen uns vor einem Jahr auf der Strasse, sie auf dem Weg zur Akademie, ich unterwegs zu einer Ausstellung. Aber was bleibt, sind gemeinsame Projekte, Veranstaltungen in den wilden Zeiten der post-histoire. Bei einer Sommerschule hat Gerburg einen Rekord als Vortragende aufgestellt, sie hat drei Stunden lang ein Karlsruher Verfassungsurteil in den Spuren Derridas dekonstruiert.

Jedenfalls hat mich ihr Tod, der Tod einer so vitalen und unbaendigen Frau, die mindestes eine so starke Lebende wie Denkende war, voellig ueberrascht.

Gerlinde (Mauerer), 27. November 2006

Liebe Angehörige von Gerburg,

ich möchte Euch/ Ihnen auf diesem Wege meine Anteilnahme an der großen Trauer um Gerburg mitteilen. (Am Schuld-Symposium hatte ich Gelegenheit, Gerburgs "Hermann" in voller Rezitationsfahrt kennenzulernen, das ist allerdings schon sehr lange her - 1998).
Meine Gedanken wandern immer wieder zu Gerburg und Euch/ Ihnen, Ihren Lieben. Ihre Stimme und prägnante Betonung sind noch so intensiv, dass ich das Unfassbare nicht glauben kann.

Die Bewältigung dieses Verlust erscheint mir noch unmöglich, dennoch möchte ich Euch/ Ihnen viel Kraft für die Bewältigung Ihrer Abwesenheit wünschen.

In tiefer Trauer mit Euch/ Ihnen.

Mag. a Dr. in Regina Sperlich, M.A., 27. November 2006

trauriger abschied von dieser tollen und schönen Frau; große Verführerin und inspirierende Lehrerin, die ich bewundert hab, die mir viel gegeben hat. Lange waren wir uns nicht mehr begegnet, acht Jahre, wie das halt so ist. Ein bisserl etwas Hexisches hast gehabt und, leider, jetzt ist's ausgehext, oder auch nicht....Was bleibt, ist viel Stimme, viele Texte und ganz viel Wille, Lust, Mut und Drang zum Wissen, zur Wahrheit und zum Humor, den Faden immer weiter zu spinnen, jetzt muss er leider ohne dich sich spinnen....

Katharina Pewny, 28. 11.2006

Ich habe Gerburg 1991 das erste Mal als Studentin in Wien gehört. Sie hatte kleine schwarze (Plastik-)Spinnen im Haar und eine im Mundwinkel. Für meine Diplomarbeit zu Antike habe ich unendlich viel von ihr gelernt, vor allem Denken.
Zum letzten Mal sprach ich sie, als Kollegin, bei einem Vortrag an der Hamburger Kunstuniversität: Ganz neu in Hamburg, traf ich auf eine Vertraute - Gerburg.

Gerburg ist "uns" - Feministinnen, Denkerinnen - immer voraus geeilt. Auch diesmal ist sie uns voraus. Ich stelle mir vor, dass sie nun nicht (mehr) Totenbraut ist, sondern die Königin des Hades, der nun endlich nicht mehr Hades, sondern eben Gerburg gehört. Ich stelle mir vor, dass Kore nun nicht mehr im und von Hades eingesperrt ist, sondern in ihrer Gestalt als Kore, Demeter und Hekate überall sein kann.

Selbst schon zu Lebzeiten Medium und Mythos, stelle ich mir vor, dass in Ihrem Sinn wäre: Weiterdenken. Weitermachen.

Ich möchte mich Gerlindes Kondolenz an alle Angehörigen anschliessen.

Moira Hille, 28.11.2006

Gerburg beeindruckte mich in ihren Seminaren und Vorlesungen durch die Art und Weise, wie sie Texte, künstlerische Projekte und politisches Geschehen analysierte und mir damit neues sprachliches Werkzeug zur Verfügung stellte; zugleich vermittelte sie einen genauen Blick auf die Schizophrenie unserer Gesellschaft, was zugleich bedeutete, kritisch-reflexive Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Ich möchte ihr dafür sehr danken und ich werde sie als eben diese fuer mich äusserst politische Figur vermissen, ebenso wie ihr sozial sensibles Einfühlungsvermögen, das sie mir/uns als Studierende entgegengebracht hat.

Sie bleibt fuer mich einzigartig.

Else Rieger, 29.11.2006

Gerburg hat mir unglaublich viel gegeben. Vielleicht vor allem: den Mut hinzuschauen. Wirklich hinzuschauen.

Danke für alles.

Brigitte Ecker, 01.12.2006

In aufrichtiger Anteilnahme.

Sabine Hark, Berlin 3.12.2006

Drum-Rum-Reden war Gerburgs Sache nicht. Immer suchte sie, mit Worten den Worten auf den Grund zu gehen. Im Sprechen, das sich bei ihr mühelos mit Denken und Spielen verband, das geschmeidig zwischen Dozieren und Dialog, zwischen Deklamation und Debattieren oszillierte, sich selbst und anderen das, was (noch nicht) ist, begreiflich zu machen. Wer sie auch nur einmal erlebt hat, gleich ob im Seminar, beim Vortrag, im Radio, auf der Bühne oder auch nur in der Kneipe, wird sich daran erinnern. Wie sie sich in atemberaubender Geschwindigkeit in drei Jahrtausenden abendländischer Kulturgeschichte hin und her bewegte, antike Mythen ebenso wie drängende Fragen der Gegenwart - sei es der biowissenschaftliche Epochenbruch oder die totalitäre Tendenz des Überflüssig-Machens von Menschen - aufschlüsselte, wie sie Barbie und Dolly das Schaf mit grand theory verband und so ungeahnte Blickachsen (wieder) öffnete. Stets ging es dabei ans Eingemachte, wie sie selbst es oft nannte. Nie darum, wohlgefällig oder angepasst zu denken, sich an den Dingen vorbei zu mogeln. Dafür hatte sie keine Zeit, das sah sie als Verschwendung an. Sie selbst war dagegen schiere Verschwendung. Sie verschwendete sich und ihre Gaben, ihre leidenschaftliche Lust am Denken und ihr darstellerisches Talent, ihre Unbedingtheit und ihre Beharrlichkeit, ihre Lebenszeit und ihre Aufmerksamkeit, bedenkenlos an andere. Wer es annehmen konnte, wurde reich beschenkt. Darin war sie indes oft eine Zumutung und das im besten Sinne des Wortes: Sie mutete sich und das, was sie zu sagen hatte, anderen zu, sie setzte sich aus. Und sie forderte, dies auch zu tun. Gleichgültig konnte ihr gegenüber daher niemand bleiben.
Gerburg war Feministin; sie blieb es auch, als es längst nicht mehr opportun schien, feministisch zu denken und zu handeln. Sie war aber immer auch eine Kritikerin feministischen Tun und Denkens; feministische Essentialismen und Mythen kritisierte sie ebenso ungeduldig und deutlich wie sie sich nicht als Parteigängerin eignete. Sie war und blieb eigenwillig und eigensinnig. "Ich lasse mich nicht einordnen. Ich kann mich nicht einordnen", sagt sie in ihrem letzten Radiointerview. Jene, die sie kannten, trauern um eine Freundin. Alle haben eine scharfzüngige und hellsichtige feministische Diagnostikerin der Gegenwart verloren. "Nur wenn die Toten unter den Lebenden sind", schrieb sie wenige Monate vor ihrem Tod in anderem Zusammenhang, "kann ... etwas entstehen, was mit Foucault Geschichte der Gegenwart heißt". An dieser Geschichte der Gegenwart aus einem feministischen Blick zu arbeiten, ist jetzt unsere Aufgabe. Dass Gerburg ihren Teil weiter dazu beitragen wird, dafür wird sie schon sorgen. Fehlen wird sie mir trotzdem.

Mag. Dr. Hans-Jörg Hofer, Student der Erziehungswissenschaften und der Psychologie (Innsbruck 1989 - 1995), 03.12.2006

Gerburg Treusch-Dieter war eine große Denkerin, die mit dem, was sie gedacht hatte, auch ernst machte, was viele ihrer Zeitgenossen er- und abschreckte. Es war diese Radikalität im Denken, ähnlich wie Hannah Arendt auf jegliche Art von Sicherheit und Geländer verzichtend, die verstörte, weil sie keine Gründe und Sicherheiten mehr zuließ, sondern vielmehr als verdächtig entlarvte. Alles wurde infrage gestellt, alles stand unter Beobachtung. Gerburg Treusch-Dieter war denkend aber stets dem Leben auf eine Art und Weise zugewandt, wie man sie bei wirklich großen PhilosophInnen nur mehr selten findet. Unvergeßlich werden mir ihre treffsicheren Analysen sowie der Witz und Humor bleiben, mit dem sie auch das Unsägliche und radikal Böse, das Auditorium natürlich immer spielerisch einbeziehend, verdaulich aufbereiten konnte, selbst wenn dieses einem eigentlich im Halse stecken bleiben hätte müssen.

Gerburg verstand es zudem, alles, was um sie herum passierte, in einen größeren Zusammenhang zu stellen, sodass das vermeintlich Vertraute und Bekannte plötzlich den Blick auf das Ungeheuerliche und Un-denkbare freigeben musste, womit erst wirkliche, weil neue, Erkenntnis sich gegen alle akademischen Gepflogenheiten stemmend entstand.

Nicht alles, was Gerburg schrieb, dachte oder sagte, erschloss sich einem restlos und auf Anhieb. Manches wurde erst später und in Form sich selbst offenbarender Phänomene klarer, manches blieb einfach im Dunkeln und wird sich im Laufe der Zeit noch erhellen.

Mit Gerburg Treusch-Dieter geht der akademischen Welt nicht nur eine gleichermaßen hervorragende sowie im Denken originelle und schillernde Soziologin sondern auch eine große Persönlichkeit mit leidenschaftlichem Tiefgang und Herzensbildung - auch das machte Gerburg aus! - verloren.