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Hinter dem Kunstwerk. Denken über Kunst entgegen der Bipolarität des Kalten Krieges

Projektleitung:
Katalin Cseh-Varga (IKW)

Projektdauer:
3 Jahre
verlängert bis 28.2.2025

Gefördert von:
FWF | Hertha Firnberg (T1074)

FWF | Hertha-Firnberg Fellow
Katalin Cseh-Varga, Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften
Projektlaufzeit: 1.4.2019 – 28.2.2025

Wie konnten Künstler_innen und Kunsttheoretiker_innen der zeitgenössischen Kunst Mitteleuropas mit den dominanten intellektuellen Strömungen des Kalten Krieges umgehen, wie konnten sie diese verarbeiten? Das Forschungsprojekt stellt die erste umfangreiche Untersuchung der Zirkulation von Ideen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Eisernen Vorhangs dar, welche sich mit der Rekonstruktion der komplexen Produktion von Kunst zwischen 1956 und 1989 beschäftigt. Bedeutende Persönlichkeiten der Kunstkritik und der Kunstgeschichte, wie etwa Éva Körner, setzten sich zum Beispiel intensiv mit dem Strukturalismus und der Semiotik auseinander. In diesem Kontext wurde und wird debattiert, wie sich Manifestationen der menschlichen Kultur in Beziehung zu einem größeren, übergreifenden System verhielten und welche ästhetische Form die Aufarbeitung von Zeichen- und Kommunikationsprozessen annahm. Zugleich ließen sich diese Persönlichkeiten vom zeitgleich aufkommenden Kult des Readymades, vom geistigen Horizont Ludwig Wittgensteins und der Minimal Art im Ungarn der 70er Jahre inspirieren. Ähnlich verhielt es sich mit der intellektuellen Verfasstheit von zeitgenössischen Künstler_innen. So konnten Dóra Maurer und Anna Kutera beispielsweise in den „Westen“ reisen und ästhetische Ideen sowohl importieren als auch exportieren, wodurch die durch den Eisernen Vorhang bedingte und verkörperte ideologische Isolation aufgeweicht wurde.

Das vorliegende Projekt möchte die Rolle von Vermittler_innen, Trends in der Philosophie und Stationen von „reisenden“ Ideen in der Tschechoslowakei, in Polen, Rumänien und Ungarn untersuchen. Dabei handelt es sich um Faktoren, die die Kunstproduktion als intellektuellen Prozess im Spätsozialismus beeinflusst haben und in eine kritische Analyse der gespaltenen Blöcke eingebettet sind. Figuren der Kunsttheorie und Künstler_innen selbst nahmen verschiedene philosophische Denkrichtungen und Konzepte auf, „übersetzten“ und verbreiteten sie. Solche reisenden Ideen resultierten in Diskussionen, Publikationen, Veranstaltungen und Kunstwerke.

Enstprechend sollen die drei Faktoren, welche die zeitgenössische Kunstproduktion und das Denken über Kunst formten, im Hinblick auf ihren lokalen und regionalen Einfluss analysiert werden. Der jeweilige Kontext und jede Variante der Übertragung werden dabei mithilfe von Oral-History-Interviews, Archivarbeit und der Diskursanalyse einer multiperspektivischen Untersuchung unterzogen.

In diesem Zusammenhang erscheinen Juliane Debeusschers Anwendung des kulturtheoretischen Begriffs der „Kontaktzone“  und Kornelia Slavovas Ausformulierung der Idee der „kulturellen Übersetzung“ als zentrale Konzepte der Konstitution sowie Analyse des Denkens über Kunst, welche die Bipolarität des Kalten Krieges herausfordern. Beide Konzepte verknüpfen Informationen, Wissen, Transfers und ihre materiellen Träger auf eine erdenklich komplexe Weise, die meines Erachtens in der Lage ist, eine möglichst adäquate Kulturgeschichte von real existierenden Sozialismen zu begründen. Im Unterschied zum einseitigen Fokus auf die Untersuchung des Kunstobjekts, liegt der Kern des Forschungsprojekts im Akt der Übertragung als ein kritisches Faktum und Werkzeug der Geschichtsschreibung . Diese Betrachtung öffnet die Diskussion hin zu Theorien und Methoden, die sich nicht zuletzt auch in der zeitgenössischen digitalen Kulturwissenschaft (Stichwort Netzwerkbildung) wiederfinden.