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Alfred Kallir oder Über einige formale Aspekte des Buchstabens V

Till Gathmann
Dissertationsstipendiat an der Akademie | Abschluss-Stipendium des Doktoratszentrums 2014|15

Abstract

Meine Recherche verfolgt die Lebensgeschichte und die historischen Umstände des Laienschriftforschers und V-Experten, Alfred Kallir (1899-1983). Kallir, in eine Wiener jüdische Familie geboren, erlebte den Niedergang des Habsburger Monarchie und hoffte auf eine Karriere als Violonist in den USA - ein unerfüllter Traum, dem eine Beschäftigung als Manager für die Witkowitzer Stahlwerke in Amsterdam und London folgten, wo er Zeuge der Zerstörung des internationalen Konzerns (gegen die er möglicherweise arbeitete) durch Hermann Görings gierige Hände wurde. Dieses Kapitel wird 1941 in England geschlossen, wo er endlich - von Winston Churchills zweifingrigem Victory-Zeichen inspiriert - sich für den Rest seines Lebens in eine obsessive, doch wenig anerkannte Recherche zur Genealogie der Buchstabenformen und ihrer "versteckten Bedeutung" stürzte.

Meine Arbeit fokussiert auf Kallirs Biografie, Fragen der Darstellbarkeit historischer Situationen, den  Einfluss dieser auf seine Gedanken und Taten und setzt - da es sich um künstlerische Forschung handelt - auf eine starke Reflexion meiner eigenen Interessen und Wünsche in der Auswahl von Gegenständen und Themen. Wichtig ist mir dabei eine psychoanalytische Perspektive geworden, in der der Begriff der Übertragung von zentraler Bedeutung ist. "… Die unbewusste Vorstellung (ist) als solche überhaupt unfähig, ins Vorbewusste einzutreten, und (vermag) dort nur eine Wirkung zu äußern, indem sie sich mit einer harmlosen, dem Vorbewussten bereits angehörigen Vorstellung in Verbindung setzt, auf sie ihre Intensität überträgt und sich durch sie decken lässt. Es ist dies die Tatsache der Übertragung ..."  (Sigmund Freud, Traumdeutung G. W. 568)

Um diesen bestimmten Moment im Prozess der Recherche auszuagieren, zu strukturieren und zu transformieren entschied ich mich eine Reihe von Performances zu entwickeln. Indem diese methodische Gedanken mit bestimmten Resultaten der Recherche kombinieren, zielen die Performances darauf, meine eigene Involviertheit mit bestimmten Objekten in einer räumlichen und körperlichen Beziehung zu thematisieren und mich so öffentlich in eine Figur von Autorschaft, Versagen, und Obsession zu zwingen - eine mimetische Geste, die auf Kallir selbst bezogen ist. Techniken der Zeichnung spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle.

Letzter Schritt einer Recherche wird ein Buch sein, welches biographische Elemente des Lebens Alfred Kallirs versammelt und mit meinen Reflexionen auf einige formale Aspekte des Buchstabens V und sein Vermögen Bedeutung zu produzieren konfrontiert. Die Betonung der Beziehung von Bild und Text, die für Kallir so wichtig war - die Herkunft des Schreibens aus Bild und Geste, die Lesbarkeit der Bilder - wird dabei reflexiv auf (nicht nur) jüngste Fragen der Verwendung von Fotografie und Typografie in der Literatur gewendet.

Kontakt

http://bombmagazine.org/article/1000201/portfolio-9